Lesedauer

8 Minuten

Datum

Verfasser

IMT AG

CFD-Simulation zur Verbesserung des Wärmemanagements

Insight in Brief

Bei der Entwicklung von elektronischen Produkten spielt das Wärmemanagement im Hinblick auf die Robustheit, Sicherheit, Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit eine Schlüsselrolle. Dieser Artikel befasst sich mit den folgenden Themen:

  • Bedeutung des Wärmemanagements beim Produktentwurf
  • Anwendung der numerischen Strömungsmechanik (CFD) in den Konzeptphasen
  • Verifizierung numerischer Simulationen mithilfe experimenteller Messungen
  • Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes numerischer Simulationen in frühen Produktentwicklungsphasen

Einleitung

«Keep cool» ist nicht nur in den heissen Sommermonaten oder während kritischer Projektphasen wichtig. Wussten Sie, dass die Lebensdauer elektronischer Bauteile (z. B. Halbleitern) in hohem Masse von der Betriebstemperatur abhängt?

Eine Erhöhung der Temperatur um zehn Grad halbiert die Lebenserwartung elektronischer Bauteile (logarithmisches Verhältnis) und reduziert die Gesamtleistung drastisch. Darüber hinaus kann eine Überhitzung zu Bränden führen, was katastrophale Fehlfunktionen zur Folge haben könnte und bei der Erfüllung gesetzlicher Normen berücksichtigt werden muss. Aus diesem Grund ist Wärmemanagement ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung elektronischer Produkte, um ein robustes, sicheres, langlebiges und leistungsstarkes Gerät zu erhalten.

Bei IMT werden modernste Simulationstools eingesetzt, um solche Anforderungen bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklungsphase zu berücksichtigen und somit einen optimalen Aufbau und Entwurf des Produkts sicherzustellen. Es werden jedoch nicht nur bunte Marketingbilder produziert. Wir hinterfragen auch die Berechnungsmodelle und verifizieren sie mit experimentellen Messungen.

Problemstellung

IMT wurde innerhalb der Produktkonzeptionsphase mit der Untersuchung möglicher Optionen zur Steigerung der Kühleffizienz eines Produkts beauftragt. Dieser Optimierungsbedarf hat sich aus dem direkten Marktfeedback ergeben, da Langzeitbeobachtungen robustere Geräte im Hinblick auf das Wärmemanagement nahelegten.

Einschränkungen ergaben sich aus der Anordnung der Steckverbinder und der daraus resultierenden Innenverdrahtung. Des Weiteren galt es, die Wartungsanforderungen zu beachten. Jedes Bauteil des Geräts sollte leicht zugänglich und austauschbar sein.

Aufgrund des engen Zeitplans waren mehrere Iterationen an Prototypen keine Option.

Methode

Die numerische Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics, CFD) ist ein Teilgebiet in welchem Strömungsmechanik, numerische Analysen und Datenstrukturen zur Analyse und Lösung von Strömungsproblemen einsetzt werden. Mit dieser Methode können Produktentwürfe auf ihr aerodynamisches Verhalten einschliesslich der thermischen Auswirkungen untersucht werden, ohne dass hierzu physische Prototypen erforderlich sind. So können Änderungen des Produktentwurfs und deren Auswirkungen bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase untersucht werden.

Numerisches Modell

Nach einigen Recherchen zum Aufbau des Gehäuses wurde ein Grundkonzept für das Gerät unter Berücksichtigung der vorgegebenen Beschränkungen (d. h. Leiterplattenlayouts, Kabellänge usw.) ausgearbeitet. Es wurde ein numerisches Modell zur Durchführung von CFD-Simulationen in der Strömungssimulationssoftware Solidworks® Flow Simulation erstellt, um auf Anhieb einen leistungsfähigen Prototyp zu erhalten. Dies dient der Zeit- und Kostenersparnis und stellte die einzige Möglichkeit dar, den vorgegebenen Zeitplan einzuhalten. Im Sinne effizienter Iterationen wurde das Konzept des Gehäuses in einem Blockmodellansatz abstrahiert, um das Gerät auf der Systemebene analysieren zu können. (Abbildung 1)

Abbildung 1: Blockmodell des konzipierten Geräts

ID

Bezeichnung

1

Aussengehäuse
2

Innengehäuse

3

Gerätespezifische Einheit (A)
4

Gerätespezifische Einheit (B)

5

Mainboard

6

Netzteil
7

Netzplatine

8

Anzeigeplatine

9

Akku
10

Lüfter

 

Hinter dem Konzept steht die Idee, die Kühleffizienz für kritische Bauteile zu erhöhen, indem der Luftstrom am Eingang des Hauptgeräts geteilt und als Haupt- (blau) und Nebenstrom (orange) weitergeleitet wird (Abbildung 2). Dies ermöglicht eine bessere Abstimmung der räumlichen Verteilung des Massenflusses. Zudem kann frische Zuluft direkt zu kritischen Bereichen mit hoher Verlustleistung geleitet werden, um von einem höheren Temperaturgradienten zu profitieren.

Die Auslegung des Gehäuses sieht einen «doppelten Boden» vor, der das Gerät dort, wo sich der Lüfter befindet, in zwei Teile teilt. Die Verteilung des Massenflusses im oberen Teil kann durch Änderung der Position und Grösse der Eingangs- bzw. Ausgangsöffnung des  Innengehäuses reguliert werden.

Bauteile mit höherem Wärmeverlust, wie die Netzplatine und das Netzteil, sind eingekapselt und im oberen Teil verbaut. Dies gestattet nicht nur eine bessere Kontrolle des Wärmestaus, sondern trägt auch zur elektrischen Isolierung bei, wodurch Normen wie EN 60601-1, EN 61010-1, IEC62368-1 usw. erfüllt werden. Des Weiteren sind die Ausrichtung der Bauteile und die Position des Ausgangs für die vollständige Ausnutzung der natürlichen Konvektion optimiert, was zu einer gut ausgeformten Strömung über dem Mainboard führt.

Abbildung 2: Beabsichtigte Trennung/Führung des Luftstroms

 

Vorstudien

Der Lüfter wurde auf der Grundlage einer mathematischen Beschreibung implementiert, um die benötigte Rechenzeit zu reduzieren. Aus diesem Grund wurde die vom Hersteller zur Verfügung gestellte Lüfterkurve in Form einer Nachschlagetabelle implementiert. In einer Vorstudie wurden die Implementierung und die Netzabhängigkeit untersucht. (Abbildung 3)

Abbildung 3: Mathematisches Modell des Lüfters

 

Um aussagekräftige Ergebnisse aus der Simulation zu erhalten, wurde eine Netzempfindlichkeitsstudie (Mesh Sensitivity Study – MSS) durchgeführt, um die erforderliche räumliche Diskretisierung des numerischen Modells zu bestimmen. Insbesondere bei thermischen Lasten sind solche Untersuchungen unerlässlich, um die erforderliche Auflösung für die Grenzschicht, in welcher die Wärmeübertragung stattfindet, zu ermitteln. (Abbildung 4)

Abbildung 4: Netzempfindlichkeitsstudie (MSS) zur Konvektion

 

Die korrekte Definition der thermischen Lasten stellte sich als Kernpunkt bei diesem Modell heraus. In der Regel kann der Wärmeverlust durch die Verlustleistung approximiert werden.

Für bestimmte punktuell heisse Bereiche wie z. B. integrierte Schaltkreise (IC) erweist sich die Berechnung als einfach, sofern die erforderlichen Daten verfügbar sind. Für grossflächigere Wärmequellen, wie in diesem Fall die Netzplatine, musste jedoch eine andere Lösung gefunden werden. Mit Hilfe eines Reverse-Engineering-Ansatzes wurde das Blockmodell der Leiterplatte kalibriert. Durch Anwendung der Wärmebildtechnik wurde die Beharrungstemperatur während des Betriebs in einem Aufbau mit freier Konvektion gemessen. (Abbildung 5)

Temperatur (°C)

PB Netzteil
PB Ladeteil

Abbildung 5: Wärmebild der Netzplatine

 

Die resultierende Temperatur konnte in einer korrespondierenden CFD-Simulation als Randbedingung zur Bestimmung des Wärmestroms verwendet werden, welche dann in das Blockmodell des Geräts einfliessen konnte. (Abbildung 6)

Temperatur (°C)

Abbildung 6: CFD-Modell der Netzplatine

Anhand dieser Vorstudien wurden die betreffenden physikalischen Phänomene untersucht und ihre Implementierung in der Simulation verifiziert. Das Blockmodell des Geräts konnte schliesslich erstellt werden.

Ergebnis

Simulation

Zunächst wurde das ursprüngliche Layout analysiert, um zu prüfen, ob das beabsichtigte Prinzip der Luftstromtrennung funktioniert und um problematische Bereiche zu identifizieren.

Geschwindigkeit (m/s)

Frontseite
Linke Seite
Rückseite

Abbildung 7: Luftstrom im ursprünglichen Entwurf

 

Nach der Simulation hat sich die allgemeine Idee als erfolgreich erwiesen (Abbildung 7). Bei einer detaillierten Untersuchung zeigte sich jedoch ein problematischer Wirbel, der gelöst werden musste. Außerdem musste eine Stützplatte eingefügt werden, um die strukturelle Stabilität zu erhöhen. Innerhalb weniger Stunden wurde die Konstruktionsänderung simuliert und die Auswirkungen konnten bewertet werden. Die integrierte Stützplatte führt zu einer Verbesserung des Wirbels und der gesamten Wärmeabfuhr (Abbildung 8).

Temperatur (°C)

Ursprünglicher Entwurf
Optimierter Entwurf

Abbildung 8: Kritische Wirbel verursachen Wärmestau

 

Der Vergleich mit den Messungen bei «freier Konvektion» ergab, dass die Belüftung des Gehäuses für beide Entwürfe effizient funktioniert und zu einer deutlichen Senkung der Temperatur der elektrischen Bauteile an den verschiedenen Messpunkten führt. (Abbildung 9)

Abbildung 9: Vergleich der Gesamtleistung

Da die durch die Simulation vorhergesagten Ergebnissen zufriedenstellend waren, konnte der Prototyp freigegeben werden.

Experimentelle Messungen

Wir bei IMT verlassen uns nicht einfach auf unsere Tools. Vielmehr überprüfen wir sie ebenso wie unsere Arbeit und suchen stets nach Beweisen, ohne uns dabei auf Vermutungen zu stützen. Nach der Montage des Prototyps wurde dieser mit Thermoelementen an den Messpunkten des numerischen Modells versehen und einem Belastungstest unterzogen. (Abbildung 10)

MB SSD
MB CFB
UI Schrittmotor
PB Ladeteil
DB Valens
DV Ausgang

Abbildung 10: Mit Thermoelementen ausgestatteter Prototyp

 

Die Simulationsergebnisse wurden mit den experimentellen Messungen verglichen, die eine Diskrepanz von etwa 15 bis 25 % ergaben. (Abbildung 11) Eine solche Diskrepanz erscheint hoch, aber angesichts des hohen Abstraktionsniveaus erfüllten die Ergebnisse die Erwartungen.

Abbildung 11: Verifizierung der Simulation

Bei der Entwicklung wurde festgestellt, dass ein grösserer Lüfter in das Konzeptgerät integriert werden könnte, was eine weitere Optimierung des Wärmemanagements erlauben würde. Der Prototyp wurde kurzerhand angepasst, um die Wirkung eines grösseren Lüfters zu untersuchen. Da die Lüftersteuerung auf einen Betrieb mit niedriger und hoher Drehzahl ausgelegt ist, wurde auch dieser Parameter untersucht. (Abbildung 12)

Abbildung 12: Konzeptgerät mit kleinem und grossem Lüfter

Am wichtigsten war der Vergleich mit dem aktuellen Gerät, das als Benchmark verwendet wurde. Ein Vergleich der in beiden Geräten identischen Sensoren ergab, dass eine enorme Temperatursenkung für alle Sensorpositionen erreicht werden konnte. (Abbildung 13)

Interessanterweise erreicht das Konzeptgerät mit grossem Lüfter bei niedriger Drehzahl eine Leistung, die der Konfiguration mit kleinem Lüfter und hoher Drehzahl entspricht. Was die Geräuschemission anbelangt, ist dies für Kunden von entscheidender Bedeutung, da sich die Option mit dem grossen Lüfter als leiser erwies und gleichzeitig Spielraum für Extrembedingungen lässt.

Abbildung 13: Vergleich zwischen Konzeptgerät und Benchmark

Zusammenfassung

Simulationen ermöglichen die Analyse von Produktentwürfen in einer sehr frühen Entwicklungsphase und verringern den Bedarf an Prototypen. Zusätzlich können physikalische Effekte sichtbar gemacht werden, die mit experimentellen Methoden nicht oder nur mit grossem Aufwand zu erkennen wären.

Dies führt zu einer sehr hohen Effizienz bei der Entwicklung neuer Produkte oder der Identifizierung von Schwachstellen in bestehenden Entwürfen und spart gleichzeitig wertvolle Ressourcen wie Zeit und Geld. Simulationen erleichtern zudem die Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen oder Stakeholdern, um Anforderungen besser zu verstehen. Dies erleichtert die Entscheidungsfindung in entscheidenden Fragen… getreu dem Motto: «Keep cool»!

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